Categories
new

they sometimes allowed her to cry 

17.11.22

Schwäche zeigen war verpönt; und Jammern ist ja eigentlich auch Schwäche zeigen, oder?

(oma)

[…]

weißt du, wie reagiert wurde, als Kinder geweint haben?

(ich)

wenn Kinder geweint haben?… „ach plärr nicht so; sei ruhig; hab dich nich’ so“

(oma)

egal welche Ursache? 

(ich)

jaja, also uns hat jedenfalls niemand bedauert. Da hat niemand gesagt: ach du armes, hast du dir weh getan, das gab’s nicht. Plärr nicht so. (lacht)

(oma)

also sehr abweisend 

(ich)

jaja, auf alle Fälle

(oma)

kannst du dich an ne Situation erinnern und wie’s dir damit ging?

(ich)

eigentlich nicht… aber ich weiß noch, wo ich mal richtig rotz zu Wasser geheult hab, also zweimal eigentlich, da haben sie mich aber einfach heulen lassen und zwar einmal, da war ich ‘n bisschen zickig. […] Und mein Vater wollte Sonntag früh nen Spaziergang ins Feld machen und ich wollte nicht mit und dann auf einmal wollte ich doch mit und da war er aber schon weg und hat nicht auf mich gewartet, ist nicht nochmal umgekehrt. Und da hab ich so geheult und geheult und geheult; da hab ich Blasen geheult. (lacht) und da haben sie mich aber einfach gehen gelassen, da hat niemand gesagt hör auf oder was. Da saß ich eben in der Ecke und hab geheult. 

Und einmal war ich im Wald, da hat mein Vater mich auf ne Decke gesetzt, die Decke seh ich noch vor mir […] und hat gesagt: wartest mal, ich will mal da und da hin, gucken ob’s schwarze Beeren gibt und als Kind kam mir das ewig lange vor, dass der nicht wieder kam und da bin ich aufgestanden und bin heim gelaufen (lacht) und das war weit. […] Da bin ich durchs ganze Dorf bestimmt ne Stunde oder halbe Stunde gelaufen und hab Rotz zu Wasser geheult (lacht) das weiß ich noch. 

[…]

Jedenfalls da hat mich auch niemand am Heulen gehindert; das fand ich eigentlich schön, so zu heulen; manchmal hab ich – hat mir das auch wirklich nichts ausgemacht zu heulen. 

(oma)

und die positive Reaktion war also keine Reaktion, also nicht zu schimpfen…

(ich)

jaja, richtig, das war schon gut. Getröstet hat mich bestimmt niemand; aber nicht zu schimpfen, das war auch schon gut. Dass einen jemand getröstet oder bedauert hat, kann ich mich gar nicht mehr erinnern. 

(oma)

aber wünscht man sich das manchmal in dem Moment, was denkst du?

(ich)

ne, wär ich gar nicht auf die Idee gekommen. 

Ich mach das auch lieber mit mir alleine aus, ich brauch da niemanden.

(oma)

hat sich das irgendwie dann geändert als du nicht mehr Kind warst? 

(ich)

auch nicht, ich bin da nicht so sehr emotional und wenn ich dann doch mal ne Krise hab, dass ich am besten meine Ruhe hab. Da brauch ich niemanden dazu, der mich dann tröstet.

(oma) 

und ich wollte mal fragen, wie du das bei deinen Kindern dann wahrgenommen hast.

(ich)

ich werd’s genauso gemacht haben, wir haben auch kein großes (?) gemacht mit den Kindern. Oder die irgendwie bedauert oder sowas. Die waren auch ganz schön hart gesotten. 

[…]

Da kam er mal nachhause, hat beide Arme bis zum Ellenbogen und beide Beine richtig blutig aufgeschlagen gehabt und da ist der nicht auf die Idee gekommen, vorher heim zu kommen. […] Da hat er einfach weiter gespielt. Also die waren auch ziemlich hart im Nehmen, weil wir die eben nicht bedauert haben.

(oma)

denkst du, das lag daran? 

(ich)

mit, ja. Und weil’s eben auch so war […] weil die anderen auch so waren. 

[…]

ja…

jedenfalls deine Mama war auch nicht emotional 

ist sie auch glaub ich nicht…

also ich würd sagen auch nicht sehr mitfühlend mit anderen Leuten

bin ich aber auch nicht 

(oma) 

denkst du, das hast du gelernt oder denkst du, das … ist einfach so?

(ich)

ja schon, das ist schon auch gelernt. Das ist auch vielleicht wirklich noch vom Krieg her und von der ganzen Erziehung damals und wenn ich mir jetzt unsere Alten angucke hier, ich hab ja mit ganz alten Leuten zu tun […] das gab’s einfach nicht […]  heulen und jammern, das war sowas verachtetes; das hat man einfach nicht gemacht und die sind bis heute richtig… sagen wir mal hart gesotten, hart im Nehmen. Wenn irgendwas ist, die überspielen das, die reden noch nicht mal drüber, weißt du? … Das steckt schon noch drinnen.

(oma)

hmm. ja, irgendwas steckt drinnen auch in den Menschen, wenn sie’s halt nicht äußern können.

aber wodurch genau man das lernt, weniger mitzufühlen könntest du nicht sagen?

(ich)

na weil das eben so ist, weil man das eben nicht anders kennt. Genauso wie Kommandoton. Ich hab mir da gar nichts bei gedacht, für mich war das ganz normal, dass zum Beispiel ne Oma oder auch erwachsene Leute die Kinder rum kommandieren. Und da hab ich das erst an eurer Reaktion gemerkt, wo zum Beispiel mal der Richard gesagt hat: Oma, wir haben ausgemacht, dass ich jetzt Kommando hab. (lacht) Ich hab ja gar nicht gemerkt, wie ich rumkommandiere. Da denkt man, das ist ganz normal, verstehst du? Dass die Kinder gesagt kriegen, du machst jetzt das und das und das, klare Ansage. Wenn du das nicht anders gewöhnt bist, dann machst du das eben so.

(oma)

hmm… und du fühlst weniger mit Anderen mit, weil mit dir selber nicht mitgefühlt wurde? 

(ich)

ja, das kann schon sein, das war so üblich. Und ich find ja immer noch, wenn jemand zu mitfühlig ist, das ist dann schon wehleidig. Da kommt man schon in die Richtung Mitleid, Selbstmitleid und so. 

(oma)

 | oma durfte nicht weinen

 | und jetzt will sie nicht heulen 

 | und ihre kinder wollten auch nicht

…die ich nicht gestellt hab.

konntest du nicht, obwohl du wolltest?

wann hast du gern geweint

wann weinst du gern?

kannst du das verlernen?

kannst du das gebrauchen?

wie fühlt sich mitgefühl an?

das Gefühl, wenn du beginnst, zu weinen?

kollektives Trauma

dicke & dünne Haut 

erinnerst du dich an Situationen, in denen ich geweint habe?

WER KENNT MICH EIGENTLICH WEINEND?

WEN KENNE ICH EIGENTLICH WEINEND? 

ich erinnere mich, dass ich nur ein einziges mal in der Grundschule weinen musste, nein zweimal und darauf war ich stolz? oder ich war beruhigt

01.12.22

ja, ich finde Jammern bringt überhaupt nichts, nicht demjenigen der jammert und schon gar nicht den Anderen […] aber Weinen kann ja auch ne erlösende Funktion haben, dass du dich eben richtig entspannst und mal locker wirst und … entlastend, wenn du mal richtig geweint hast.

(oma)

ja voll, und du hast ja auch gesagt, dass du das gerne gemacht hast als Kind.

(ich)

ja (lacht) aber jetzt kann ich nicht mehr weinen.

(oma)

ja also darüber hab ich auch nachgedacht; also denkst du, dass du das verlernt hast?

(ich)

ja ja… 

(oma)

und das ist voll schlimm!

(ich)

…ja es wär schon manchmal ne Erleichterung gewesen, ja.

und wenn dann knietsch ich höchstens mal ein paar minuten rum, aber nicht richtig weinen

… ja es wirkt auf alle Fälle erleichternd

ja, Spannung abzubauen.

[…]

es gibt aber auch alte Leute, die weinen viel, meine Tante Hanni […] ist ja über 90 geworden und die hat erzählt, sie weint oft. Sie liegt in der Nacht im Bett und denkt über alles nach und fängt auch mal an zu weinen … die hatte aber auch viel erlebt […] und ihr erster Mann, also ihr – in den sie richtig verliebt war, als sie jung war, der ist im Krieg gefallen.

[…]

(oma) 

[…]

wenn was schön traurig ist.

(ich)

ja, ich weiß schon, da kommt mir aber höchstens eine Träne, mehr nicht. 

Aber das gibts schon auch … Zum Beispiel im Film oder so, wenn du so mitfühlst. Früher im Kino, ja, manchmal hab ich auch mitgeheult im Kino 

… Oder hier das Buch […] ich glaub da hab ich auch geweint als ich das gelesen hab […] das ist sowas von traurig. 

(oma)

ich hab auch […] voll geweint. Das fällt mir jetzt erst wieder ein, da hab ich richtig geweint. Da war ich aber –  da wars bei mir selber nicht so leicht und dann hab ich das in so ner Nachtschicht zu ende gelesen da war ich in Italien. (lacht) Und dann hab ich so übelst lang geweint. Das war schön…

(ich)

[…] 

aber es kommt echt auch drauf an, in welcher Lage man grade ist, haste recht. 

(oma)

ja, kannst dir ja mal wieder nen Film angucken. (lacht) nen traurigen Film.  

(ich)